Friedensgebet und Kundgebung am 18.09.2017

Zusammenfassung

Am gestrigen Montag, eine knappe Woche vor der Bundestagswahl, veranstalteten wir unser erstes Friedensgebet nach der Sommerpause. Dazu fanden sich 70 Menschen in der Kreuzkirche ein. Thematisch ging es uns diesmal in erster Linie darum, angesichts von Äußerungen führender AfD-Politiker, die offen die Verantwortung Deutschlands für die Verbrechen während der Zeit des Nationalsozialismus und des zweiten Weltkriegs infrage stellen, die Notwendigkeit einer geschlossenen Ablehnung jeglicher Kooperation mit dieser Partei durch alle demokratischen Kräfte zu betonen.

Anschließend versammelten sich 50 Menschen mit uns vor der Kreuzkirche, von wo aus wir gemeinsam mit Menschen der Gruppe Nationalismus raus aus den Köpfen zum Neumarkt zogen. Wenig später traf auch die Demonstration der Gruppe HOPE - fight racism ein, die eine etwas höhere Zahl an Teilnehmenden hatte. Insgesamt demonstrierten somit über 100 Menschen gegen die auf dem Neumarkt stattfindende gemeinsame Kundgebung von Pegida und AfD, die sich wie üblich knapp im vierstelligen Bereich bewegt haben dürfte. Die von Pegida-Seite erhoffte Großmobilisierung für die AfD kurz vor der Bundestagswahl ist somit ausgeblieben.

Ansonsten war der Abend wie üblich eine Ansammlung grotesker und erschreckender, aber auch schöner und bewegender Momente. Pegida-Anhänger, die uns als „rote Nazis“ beschimpfen, während direkt neben ihnen ein älterer Herr mit dem T-Shirt „Vize-Weltmeister 1945“ steht. Eine ältere Dame, die zum ersten Mal an unserem Friedensgebet teilnahm und beim Anblick der Pegida-Massen Tränen in den Augen hatte und sagte: „Wir können nur noch beten“. Schülerinnen und Schüler, die mit weißen Kitteln bekleidet am Rand der Pegida-Kundgebung standen und offensichtlich den Auftrag hatten, Pegida-Anhänger zu befragen, dann jedoch schnell die Lust daran verloren, die Kittel auszogen und sich lieber dem Gegenprotest anschlossen.

Selbst ein amerikanischer Fernsehjournalist war vor Ort, um Material für eine Dokumentation über den Rechtsruck in Europa zu sammeln. Da war er natürlich genau an den richtigen Ort gekommen. Am späten Abend, als die Transparente schon zusammengefaltet waren, erreichte uns die traurige Nachricht, dass noch während der Demonstrationen eine armenische Familie aus dem Dresdner Hechtviertel abgeschoben wurde. Die Familie, die bereits seit 11 Jahren in Deutschland lebt, hat drei Kinder im Alter von 6, 8 und 10 Jahren. Diese Kinder, die hier geboren wurden und zur Schule gehen, sollen nun also in ein Land abgeschoben werden, das sie noch nie gesehen haben. Diese Entscheidung mag formal-juristisch korrekt sein, menschlich ist sie jedoch nicht.

Zum Schluss wollen wir wie immer all den engagierten und mutigen Menschen danken, die gestern an unserer Seite standen. Außerdem wollen wir euch alle dazu aufrufen, am kommenden Sonntag euer Wahlrecht auszuüben und zu zeigen, dass Pegida und AfD mitnichten für „das Volk“ sprechen.

Kundgebung KreuzkircheGegendemo NeumarktGegendemo Neumarkt

 

Redebeitrag im Friedensgebet

Sehr verehrte Damen und Herren, liebe Teilnehmende des Friedensgebets,

am kommenden Sonntag findet die Wahl zum 19. Bundestag statt. Ich möchte an dieser Stelle nicht über konkrete Positionen der einzelnen Parteien sprechen und schon gar keine Wahlempfehlung abgeben. Ich möchte vielmehr darüber sprechen, wie sich die Sprache, wie sich der politische Diskurs seit der letzten Bundestagswahl verändert hat.

Vor der Bundestagswahl 2013 wurde vor allem über die sog. „Euro-Krise“ debattiert und darüber, zu wieviel Solidarität die Europäer untereinander verpflichtet sind. Diese Debatte war auch der Auslöser für die Gründung der „Alternative für Deutschland“ Anfang 2013, die mit der radikalen Forderung eines Austritts aus dem Euro von sich reden machte.

Eine weitere Debatte, die zur damaligen Zeit geführt wurde, ging zurück auf das 2010 von dem SPD-Politiker Thilo Sarrazin veröffentlichte Buch „Deutschland schafft sich ab“. In diesem Buch bescheinigte Sarrazin Zuwanderernaus dem islamischen Kulturkreis, in überdurchschnittlicher Zahl Hartz IV-Leistungen in Anspruch zu nehmen und ein niedrigeres Bildungsniveau als die Durchschnittsbevölkerung aufzuweisen. Damals wurden zahlreiche Statistiken bemüht, um nachzuweisen, dass der sich der von Sarrazin postulierte Zusammenhang von Religionszugehörigkeit und Integrationswilligkeit in dieser pauschalen Form nicht belegen lässt.

Betrachtet man die derzeitige Debattenkultur in Deutschland, dann würde man sich wünschen, dass sich diese wieder um Statistiken und ihre Bewertung, oder um Konzepte zur Bewältigung von Staats- und Finanzkrisen drehen würde.
Stattdessen haben wir in den vergangenen vier Jahren eine Verschärfung und Radikalisierung der öffentlichen Debatte erlebt, wie wir es uns zuvor nie hätten vorstellen können. Ein Tabu nach dem anderen wurde gebrochen und Dinge, die vor kurzem noch undenkbar gewesen waren, werden plötzlich laut ausgesprochen.

Es war undenkbar, dass der Spitzenkandidat einer politischen Partei mit guten Aussichten auf einen Bundestagseinzug vorschlägt, eine Staatsministerin mit Migrationshintergrund in Anatolien zu „entsorgen“. Es war undenkbar, dass die Notwendigkeit einer Beschäftigung mit Verbrechen des Nationalsozialismus offen in Frage gestellt wird, dass in der Öffentlichkeit ein „Ende des Schuldkults“, ein „Schlussstrich unter die Nazi-Vergangenheit“ gefordert wird.
Doch all dies wurde genau so gesagt. Und die Spirale dreht sich immer weiter. Mittlerweile wird nicht mehr nur der richtige Umgang mit der deutschen Vergangenheit in Frage gestellt, es werden sogar die Verbrechen der NS-Zeit an sich angezweifelt.

Alexander Gauland, der Spitzenkandidat der AfD für die Bundestagswahl, forderte vor zwei Wochen in einer Rede eine „Neubewertung der Taten deutscher Soldaten im Zweiten Weltkrieg“. Wortwörtlich sagte Gauland: „Wir haben das Recht, stolz zu sein auf die Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen“. Diese Aussage stellt nicht nur eine unfassbare Verhöhnung der Opfer des Nationalsozialismus und seiner Verbrechen dar, an denen erwiesenermaßen Wehrmachtssoldaten in großem Umfang beteiligt waren. Diese Aussage stellt auch einen Angriff auf unseren gesellschaftlichen Konsens, auf unser gesellschaftliches Fundament dar. Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland wurde explizit als Gegenentwurf zum Nationalsozialismus entworfen, was sich vor allem an der herausragenden Stellung der Menschenwürde erkennen lässt. Die besondere Verantwortung Deutschlands für die Verbrechen des Nationalsozialismus ist ein unumstößlicher Bestandteil unserer kollektiven Identität, und prägt auch noch unser heutiges Handeln. Genauso ist es – wie im Diskriminierungsverbot des Art. 3 GG statutiert – absoluter Kern unserer Gesellschaftsordnung, dass wir Menschen nicht auf ihre Abstammung, ihre Sprache, ihre Religion oder ihr Geschlecht reduzieren. Auch diese Maxime ist geprägt durch die Erfahrung einer völligen Entmenschlichung ganzer Bevölkerungsgruppen in der Zeit des Dritten Reiches. Wer diese Grundprinzipien unserer Gesellschaft in Frage stellt, muss auf den entschiedenen und geschlossenen Widerstand aller Demokratinnen und Demokraten in diesem Land treffen. Dasselbe gilt auch für alle Christinnen und Christen, die den Geboten der Nächsten- und Fremdenliebe folgen.

Meine Damen und Herren, bis zu diesem Punkt werden sie mir sicher aller zustimmen, und Sie werden sich jetzt vielleicht fragen, warum ich Ihnen all diese Dinge erzähle, die Ihnen bereits bekannt sein dürften.
Nun, ich habe die Notwendigkeit eines geschlossenen Zusammenstehens aller demokratischen und der Mitmenschlichkeit verpflichteten Kräfte darum wiederholt, weil dieser Zusammenhalt an manchen Stellen bereits zu bröckeln begonnen hat.

Vor einem knappen Monat stimmten im sachsen-anhaltinischen Landtag große Teile der CDU-Fraktion einem AfD-Antrag zu und verhalfen ihm so zu einer Mehrheit. Gleichzeitig fordern Politiker der Union, wie etwa der Dresdner Europaparlamentsabgeordnete Hermann Winkler, die Chemnitzer Bundestagsabgeordnete Veronika Bellmann oder erst vor wenigen Tagen der ehemalige Hamburger Oberbürgermeister Ole von Beust, eine Koalition mit der AfD nicht grundsätzlich auszuschließen.

Eine weitere derartige Annäherung ereignete sich vor zwei Wochen im Dresdner Stadtrat. Anlass war die Verabschiedung eines "Lokalen Handlungsprogramms für ein vielfältiges und weltoffenes Dresden", das von der Stadtverwaltung unter Oberbürgermeister Hilbert ausgearbeitet wurde und mit dem Projekte für Demokratie, gegen Extremismus und gruppenbezogene Fremdenfeindlichkeit gefördert werden sollen.
Was als ein erster vorsichtiger Schritt zur Bewältigung der heftigen Verwerfungen erscheint, die unsere Stadt in den letzten Jahren erlebt hat, wurde von den Vertretern der CDU und FDP als Diskreditierung der Stadt Dresden und seiner Bürgerinnen und Bürger bewertet, weswegen sie es vorzogen, gemeinsam mit der AfD und der NPD gegen das Programm zu stimmen.Selbst jenseits vom konkreten Gegenstand der Debatte ging von dem bloßen Stimmergebnis ein fatales Zeichen aus, mit dem es Dresden einmal mehr in die deutschlandweite Presse schaffte.

Nach diesen geschilderten Beispielen möchte ich jedoch auch betonen, dass es sich hierbei um Entscheidungen und Äußerungen einzelner Parteimitglieder und Mandatsträger handelte, die nicht stellvertretend für die jeweiligen Parteien stehen. So wurde etwa das Verhalten der sachsen-anhaltinischen Landtagsfraktion von der Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzenden Angela Merkel gerügt. Auch der FDP-Vorsitzende Christian Lindner hat sich in der Vergangenheit bereits mehrfach deutlich von der AfD distanziert.

Dennoch bleibt ein gewisses Gefühl des Unbehagens, eine gewisse Sorge zurück. Was also bleibt uns Bürgerinnen und Bürgern, um der Radikalisierung der politischen Debatte entgegenzuwirken und die Grundwerte unsere Gesellschaft zu schützen? Zunächst einmal ist es unsere staatsbürgerliche Aufgabe, unser Wahlrecht auszuüben. Doch auch jenseits von Wahlen steht uns das Recht zu, in Kontakt mit unseren gewählten Vertreterinnen und Vertreter zu treten und sie gelegentlich an ihre gesamtgesellschaftliche Verantwortung jenseits von konkreter Tagespolitik zu erinnern.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, bitte gehen Sie wählen, und bitte folgen Sie auch darüber hinaus aufmerksam und kritisch der politischen Debatte in unserem Land.

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